Monster-Klasse

Meine Tochter, die bald in die erste Klasse geht, hat von ihrer zukünftigen Schule einen Brief bekommen, wo unter anderem steht (mitsamt den Bildern):

Es dauert nicht mehr lange, dann bist du endlich ein Schulkind. Mit vielen anderen Kindern wirst du in die Monster-Klasse kommen.

monster-klasse

Male bitte das Schulmonster an und bringe ihn zur Einschulungsfeier mit. Schreibe bitte auch deinen Namen auf die Rückseite.

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Regeln der bildenden Kunst

Aus reiner Neugier habe ich einmal in das Heft für bildende Kunst eines meiner Söhne hineingeschaut. Da fand ich unter anderem ein eingeklebtes Arbeitsblatt, wo eine merkwürdige Aufgabe mit noch merkwürdigerer Anleitung aus 14 Punkten stand. Diese Aufgabe sollte nämlich benotet werden, und zwar aufgrund dieser Anleitung. Wer sich am genauesten an sie hält, der ist also der beste Künstler. Hier unten ist eine gekürzte Version dieses Arbeitsblatts, wo ich von 14 Punkten nur drei übriggelassen habe:

Aufgabe: Erfinde und zeichne eine Szene eines Superhelden-Comics

Achte bei der Gestaltung auf folgende Punkte und hake ab, was du erledigt hast.

  • <…>
  • Skizziere die Szenenabfolge zunächst mit Bleistift.
  • <…>
  • Koloriere dein Comic mit Farbstiften.
  • Zeichne schließlich alle Linien mit einem schwarzen Fineliner nach und radiere die Bleistiftspuren weg.

Da fragte ich meinen Sohn:

„Wenn du am Schluss die Bleistiftspuren wegradierst, radierst du nicht etwa damit auch die Farbstiftspuren weg?“

affe

Mein Sohn zuckte mit den Achseln:

„Ich weiß nicht. Ist ja egal. Nimm es doch nicht so ernst.“

Na gut. Er hatte natürlich Recht. Ein Fehler seitens einer Lehrerin mehr oder weniger, das macht keinen Unterschied. Ich stelle mir schon vor, wie Frau Kunstlehrerin den Stoff ihren Schülern von ihrem Pult erklärt:

„Und jetzt, Kinder, erkläre ich euch, wie man eine Comic-Figur zeichnet. Hört also gut zu. Zuerst skizziert man sie mit einem Bleistift, dann koloriert man sie mit den Farbstiften. Habt ihr alles verstanden? Wer kann es wiederholen? Oder gibt es vielleicht Fragen?“

Nein, Fragen gibt es nicht. Und es ist ja auch völlig egal, in welcher Reihenfolge man den Radiergummi benutzt, wenn die Zeichnungstechnik auf solche Weise beigebracht wird. Man lernt damit das Zeichnen sowieso nicht.

Das Problem liegt nicht daran, dass Frau Lehrerin zufällig einen Fehler gemacht hat. Das kann jedem passieren. Das Problem liegt daran, dass überhaupt kein Mechanismus vorgesehen ist, wie dieser kleine Fehler bemerkt und korrigiert werden kann. Also häufen sich solche kleinen und großen Fehler bis alles jeden Sinn verliert.

Ehrlich gesagt, mag ich es durchaus nicht, wenn meine Kinder sich irgendwelche Comics anschauen statt gute Bücher zu lesen. Da wäre ich Frau Kunstlehrerin sehr dankbar, wenn sie meinen Kindern Abscheu vor Comics anerzieht.

Warum sind Hausaufgaben keine Elternsache? Grund 3

hausaufgaben_und_nobelpreisträger

Leider kann ich mir nicht leisten, soviel Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, wie ich möchte. Besonders an den Arbeitstagen ist es ein Problem: die Kinder sehen und hören jeden einzelnen von ihren Lehrern eigentlich viel mehr als mich. Desto wertvoller sind die Minuten, die wir in unserer Familie uns gegenseitig widmen können. Muss ich denn wirklich diese kurze kostbarste Zeit für nichts anderes ausgeben als für den Streit um die Hausaufgaben?

Und wenn es auch um Lernen geht, kann ich meine Kinder viel besser unterrichten als die Schullehrer. Und nicht nur weil ich in manchen Fächern viel qualifizierter bin als sie, sondern weil individueller Unterricht einfach immer besser ist als der Pauschalunterricht, der von der Schule angeboten wird. Im Gegensatz zu den Lehrern, habe ich die Möglichkeit, die Wissenslücken meiner Kinder genau zu identifizieren und dann die Übungen auszusuchen, mit denen diese Lücken am besten zu schließen sind.

Nun, angenommen, ich habe Zeit für die Ausbildung meiner Kinder gefunden. Was mache ich mit dieser Zeit? Diene ich als eine Art Aufseher für die Schullehrer, um ihnen gefällig zu sein? Oder bilde ich die Kinder selbst aus, wie ich es für das beste halte? Das sind eigentlich rhetorische Fragen.

Warum sind Hausaufgaben keine Elternsache? Grund 2

mach hausaufgabenkeine hausaufgaben

Von Zeit zu Zeit laden mich die verärgerten Lehrer/innen in die Schule ein und verlangen von mir, dass meine Söhne die Hausaufgaben machen.

„Gerne“, antworte ich, „dafür brauche ich aber ein bisschen Hilfe.“ Dann bitte ich meinen Gesprächspartner um zwei Sachen.

1. Erstens, möchte ich den Zugang zu einer zuverlässigen Informationsquelle haben, woraus ich entnehmen kann, was eigentlich mein Kind aufbekommt. Denn wer Information hat, hat auch Macht. Es ist reiner Unsinn, dass ich auf die Auskünfte, die die Kinder mir zu geben geruhen, angewiesen bin, um sie kontrollieren zu können. Die Kinder sind doch nicht dumm. Sie kapieren bald, dass es einen sehr einfachen Weg gibt, meiner Kontrolle zu entgehen. Sie brauchen nur zu sagen, dass es für morgen keine Hausaufgaben gibt. Aus meinen guten Vorsätzen wird also nichts. Ich verliere nur umsonst meine Autorität und gewöhne die Kinder, mich anzulügen.

2. Zweitens, möchte ich diese Informationen mindestens eine Woche im Voraus haben. Ich habe manchmal auch was zu tun und bin nicht jederzeit bereit, ein paar Stündchen für die Hausaufgaben der drei Schulkinder, die zu meiner Familie gehören, zu opfern. Es kommt zum Beispiel vor, dass ich bis Spätabend arbeite, und wenn ich nach Hause komme, da habe ich nur Zeit und Kraft, um den Kindern meinen Gutenachtkuss zu geben. Falls ich dabei erfahre, dass die Hausaufgaben, die von heute auf morgen aufgetragen wurden, nicht erledigt sind, dann kann ich nichts machen. Es sei denn, ich raube ihnen (und mir) ein tüchtiges Stück Schlafzeit.

Wenn ich aber alle Informationen eine Woche im Voraus bekomme, dann kann ich alles sinnvoll planen und sinnvoll kontrollieren. Letztendlich, können die Hausaufgaben allesamt auf einmal am Wochenende gemacht werden.

Als der Lehrer, mit dem ich gerade spreche, das hört, ist er zutiefst empört.

„Es geht so nicht! Sie, Herr K., verlangen von uns das Unmögliche!“

Jedoch denke ich, dass meine zwei Bitten überhaupt nicht schwer zu erfüllen wären, wenn die Schule die Gewohnheit hätte, die Interessen von Eltern ein bisschen zu beachten. Was die Schule von Eltern verlangt, ist, im Gegenteil, wirklich unmöglich, und zwar aus puren technischen Gründen.

„Sie wollen doch besondere Privilegien!“, sagt der Lehrer, „Wie schaffen es dann die anderen Eltern?“

Soviel ich weiß, schaffen es die anderen Eltern sehr schlecht. Die Hausaufgaben sind eine traditionelle Quelle für Streite und Skandale in meisten Familien. Es kommt dazu, dass zur Pubertätszeit Kinder und Eltern sich überhaupt nicht mehr verstehen können, was sogar als Norm gilt.

Sehr geehrter Herr Lehrer, wenn Sie die guten Beziehungen mit eigenen Kindern für ein besonderes Privileg halten, dann ja, das will ich!

Warum sind Hausaufgaben keine Elternsache? Grund 1

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Die Hausaufgaben, wie sie von den Schulen praktiziert werden, wirken äußerst schädlich auf die Wertvorstellungen der Schüler.

Ich sage meinen Kindern immer:

„Es ist viel besser überhaupt nichts zu machen, als irgendwas schlecht zu machen.“

Dazu gebe ich ein Beispiel:

„Stell dir vor, du hast ein Auto gekauft. Du fährst damit los, beschleunigst dich, erreichst eine große Geschwindigkeit und bist glücklich. Nach einiger Zeit versuchst du zu bremsen. Die Bremsen in deinem Auto wurden aber genauso gemacht wie die meisten Schüler ihre Hausaufgaben machen, nämlich schlecht. Die Bremsen funktionieren also nicht ganz richtig. Da prallst du gegen einen Baum und bist tot. Es wäre also für dich viel besser gewesen, wenn dein Auto überhaupt nie produziert worden wäre.“

Was jedoch die Schule meinen Kindern beibringt, ist genau das Gegenteil:

Die Hausaufgaben müssen gemacht werden, egal ob gut oder schlecht. Für nicht gemachte Hausaufgaben bekommt man Bestrafungen (mündliche Sechsen, Strafarbeiten, Arreste). Für schlecht gemachte gibt es aber keine Strafe, ebenso wie für gut gemachte keine Belohnung. Es ist nicht schwer zu erraten, welche Wertvorstellungen damit gefördert werden.

Wenn ich also von den verärgerten Lehrern erfahre, dass meine Kinder keine Hausaufgaben haben, dann freue ich mich nur insgeheim. Es hätte viel schlimmer sein können.

Inzwischen ist der Begriff „Hergestellt in Deutschland“ nicht besser geworden als „Made in China“. Das wundert mich überhaupt nicht.

Probleme mit den Hausaufgaben: Einleitung

Beichte

Als ich selbst noch ein Schulkind war, habe ich keine Hausaufgaben gemacht. Und ich bereue es bis jetzt nicht. Ich bin natürlich meinen Eltern dafür sehr dankbar, dass sie sich in meine Schulangelegenheiten nicht einmischten. Ich habe mir damals schon geschworen, dass ich meine eigene Kinder, wenn ich sie haben würde, nie dazu zwinge, die Hausaufgaben zu machen. Leider konnte ich dabei einen wichtigen Umstand nicht in Betracht ziehen.

Ich lebte damals nämlich in einem ganz anderen Land – in Russland (UdSSR). Was in einer russischen Schule letztendlich zählt und was auch benotet wird, sind Kenntnisse. Ein russischer Lehrer ist völlig zufrieden, wenn die Schüler gute Kenntnisse aufweisen. Wie sehr er sie für die fehlenden Hausaufgaben auch schimpfen mag, ganz im Ernst ist es nicht. Die Noten werden dadurch nicht schlechter. Und so was wie Strafarbeiten und Nachsitzen existieren in Russland gar nicht. Auf jeden Fall, meine Weigerung, Hausaufgaben zu machen, hat mich daran nicht verhindert, das Schulabschlusszeugnis mit lauter „sehr gut“ zu bekommen. Ich habe doch in der Schule während mehreren Jahren immer einen halben Tag verbracht. Diese Zeit ist völlig ausreichend, um sich für alle Klassenarbeiten und Prüfungen vortrefflich vorzubereiten.

Meine Kinder gehen dagegen in die deutsche Schule. Was hier zählt, sind keine Kenntnisse, sondern Leistungen. Und das macht einen großen Unterschied. Ein deutscher Lehrer kümmert sich um die Kenntnisse seiner Schüler so gut wie gar nicht. Ich habe schon unzählige Male mit den verschiedenen Lehrerinnen und Lehrer meiner Kinder gesprochen und dabei immer versucht, das Gesprächsthema in die Richtung Kenntnisse zu wenden. Vergebens. Keine Interesse. Über so was spricht man einfach mit einem Lehrer nicht. Das einzig wichtige ist, dass das Kind die Schulordnung beachtet. Damit wird auch gemeint, dass es die Hausaufgaben macht. Sonst bekommt es jede Menge von mündlichen Sechsen und wird noch dazu mit den üblichen pädagogischen, wie auch Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen grundsätzlich bearbeitet (meistens mit Strafarbeiten und Arresten). Dazu gehören noch die Einladungen an die Eltern, zu einem Gespräch in die Schule zu kommen. Die guten Noten im Zeugnis kann man dann einfach vergessen.

Muss ich unter diesen Umständen meinen alten Schwur brechen und meinen Kindern die versprochene Freiheit bezüglich Hausaufgaben zurücknehmen? Ich glaube, nicht. Es gibt drei gute Gründe, warum Eltern ihre Kinder da in Ruhe lassen sollen. Darüber werde ich das nächste Mal noch ausführlich sprechen.

Das moderne Schulrechen: 4 = 3 = 2 = 1

Warum sage ich immer, dass die Schule nicht zum Lernen da ist? Weil der Aufbau eines Mechanismus darüber urteilen lässt, zu welchem Zweck dieser Mechanismus dient. Also, wenn z.B. bei der Konstruktion eines Autos kein Motor und überhaupt kein Abtrieb vorgesehen ist, dann schließt man gleich daraus, dass dieses Auto von Anfang an nicht als Beförderungsmittel projektiert wurde (obwohl es äußerlich wie ein echtes Auto aussehen kann).

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Genauso fehlt einem heutigen Schüler innerhalb des Schulsystems irgendein Antrieb zum Lernen. So ein Teil wurde von den Entwurfsingenieuren im Mechanismus einfach nicht vorgesehen. Die guten Schüler bekommen von der Schule keine Belohnung, die schlechten brauchen sich vor keiner Strafe zu fürchten (mit unangenehmen Konsequenzen haben nur äußerst schlechte zu tun).

Das einzige, was einem solchen Antrieb einigermaßen ähnelt, sind die Noten. Aber das ist eher ein Rudiment, das von den Vorzeiten geerbt wurde, wo es noch keine strikten Datenschutzvorschriften gab. Damals führten die Noten automatisch zu einer Art von Wettbewerb zwischen den Schülern, und Wettbewerbsbeteiligung ist immer ein guter Ansporn. Heutzutage sind die Noten zu einem Geheimnis geworden und damit auch zu bloßen Zifferchen auf einem Papierchen. (Ich möchte gern sehen, was z.B. aus Eiskunstlauf wird, wenn da die Noten, die die Sportler bekommen, unter dem Datenschutz stehen würden.)

Die Schulnoten dienen jetzt lediglich dafür, dass man bestimmen kann, ob ein Schüler in die nächste Klasse versetzt wird oder nicht. Dabei unterscheidet sich vier mitnichten von eins. Kluge moderne Kinder lernen diese Arithmetik-Regel sehr schnell und zuverlässig. Wozu also sich um die eins zu bemühen, wenn die gleichwertige vier fast umsonst zur Verfügung steht? Den echten Unterschied gibt es nur zwischen fünf und vier.

Die altmodischen Eltern mögen dazu andere Meinung haben, aber das ist doch egal. Die vollständigen Kenntnisse über die Noten ihrer Kinder bekommen sie sowieso nur zwei Mal pro Jahr (in der Form eines Schulzeugnisses). Sooft kann ein Schüler einen Krach mit den Eltern wegen seiner Schulleistungen ganz gut überleben. In der übrigen Zeit braucht er ihnen über seine Noten überhaupt keine Auskunft zu geben. Falls sie danach fragen, kann er immer antworten, dass die Klassenarbeiten noch nicht geschrieben wurden, und wenn schon, dann haben die Lehrer sie bis jetzt noch nicht geprüft. Was die mündlichen Noten angeht, die werden möglicherweise (nicht unbedingt) zusammen mit der schriftlichen in den Klassenarbeitsheften mitgeliefert, dazu aber muss man, wie gesagt, ein bisschen Geduld haben.

Ich weiß nicht, ob es für die Lehrer irgendeinen Unterschied zwischen fünf und vier gibt, mit anderen Worten, ob sie irgendeine Interesse daran haben, dass ihre Schüler in die nächste Klasse versetzt werden. Mir ist nur bekannt, dass sie nicht verpflichtet sind, die Eltern zu informieren, wenn einem Kind die Gefahr droht, sitzenzubleiben (geschweige denn, eine vier im Zeugnis zu haben).

Die Lehrer stören uns nicht

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Ein Dialog zwischen mir (K.) und meinem Sohn (R.).

K.: Gehst du morgen in die Schule?

R.: Ja. Warum denn nicht?

K.: Weil es keinen Sinn macht. Du hast doch selber immer gesagt, dass du dort nichts lernst. Eigentlich, brauchst du mir nur zu sagen, dass du Bauchschmerzen hast. Dann melde ich dich morgen krank, und du kannst ruhig zu Hause bleiben.

R.: Nee, ich will doch meine Freunde sehen.

K.: Aber du kannst mit ihnen sowieso nur ganz kurz in den Pausen reden.

R.: Papa! Du verstehst von der Schule gar nichts. Natürlich können wir die ganze Zeit miteinander reden.

K.: Auch im Unterricht?

R.: Na klar!

K.: Aber die Lehrer stören euch gewiss dabei.

R.: Nein, die Lehrer stören uns nicht.

K.: Wieso?

R.: Na ja. Ab und zu sagen sie, dass wir leise sein sollen. Dann schweigen wir für ein paar Minuten. Aber das ist eben nur für ein paar Minuten. Das ist überhaupt kein Problem.

K.: Worüber kann man denn die ganze Zeit Tag um Tag reden? Habt ihr nicht schon längst alles zueinander gesagt?

R.: Nein. Mein Freund, mit dem ich gerade sitze, hat vor kurzem einen neuen Computer bekommen. Nachts schaut er sich Filme darauf, und danach erzählt er sie mir.

K.: Warum gerade nachts?

R.: Weil er an einem Tag nur einen einzigen Film schauen darf.

K.: Na gut. So lernst du wenigstens in der Schule, perfekt auf deutsch zu quatschen. Dann lerne auch ich deutsch von dir.

Die Schule ist nicht zum Lernen da, sondern…
Wann sich eine Lehrerin freut

Lehrerin ärgert sichLehrerin freut sich

Mein Sohn M. hat ein gutes visuelles Gedächtnis. Dies ist sehr praktisch, wenn es um Vokabeln-Pauken geht. Er braucht sich nur für einige Minuten ein Blatt Papier mit den Vokabeln anzuschauen, da kriegt er am nächsten Tag schon eine Eins im Vokabeltest. Oder, genauer gesagt, es war so am Anfang des fünften Schuljahres.

Seine Englischlehrerin, Frau R., war eine begeisterte Anhängerin vom Karteikartensystem. Sie verlangte, dass jeder ihrer Schüler jedes englische Wort auf eine einzelne Karte aufschrieb. Diese Karten waren in einer großen Karteibox aufzubewahren und ihr bei der ersten Anfrage zu präsentieren. Mein Sohn M. konnte natürlich nicht begreifen, wozu alle diese Komplikationen gut waren, und weigerte sich kategorisch, solchen Unsinn (wie er meinte) zu machen. Dafür wurde er von Frau R. regelmäßig bestraft. Er bekam eine große Menge von Strafarbeiten und Nachsitzen, die er allerdings meistens genauso ignorierte wie auch die Karteiführung.

Meine Frau ist in die Schule zum Gespräch mit Frau R. gegangen und hat die Frage gestellt: Warum sollte M. unbedingt die Vokabelkartei führen, wenn er sowieso immer eine Eins in den Vokabeltests hatte? Die Antwort war, erstens, dass alle Kinder gleich behandeln werden müssten und folglich keine Ausnahmen zu dulden waren, und, zweitens, dass M. nicht nur die englischen Wörter lernen brauchte, sondern auch die modernen Lernmethoden, die sich als die erfolgreichsten erwiesen hatten.

Der ungleiche Kampf zwischen M. und Frau R. eskalierte inzwischen immer weiter. Mein Sohn bekam einen Direktionsarrest, währenddessen er unter der Aufsicht von der Schulleiterin, Frau W., die Vokabelkarten auszufüllen hätte. Zu diesem Arrest ist er aber nicht erschienen. Da erhalten wir einen zornigen Brief von Frau W.

„Ein Schüler“, schrieb sie, „der sich bereits in der 5. Klasse derart konsequent unseren Anordnungen widersetzt, ist nicht hinnehmbar. M. wird daher zwei Tage vom Unterricht ausgeschlossen. Er darf an den solchen und solchen Tagen nicht am Unterricht teilnehmen.“

Damals war ich schon ziemlich unerfahren, was das deutsche Schulsystem betrifft. Es schien mir verrückt genug, dass ein Schüler, der gute Noten hatte, von der Schule verfolgt wurde, – aber die Strafe, die genau daraus bestand, wovon die Schulkinder eigentlich nur träumen könnten, kam mir noch komischer vor. Ich versuchte, diese merkwürdige Situation mit einigen meinen deutschen Bekannten zu besprechen. Ich erweckte damit aber kein Verständnis. Stattdessen guckten mich Leute eher seltsam an, als wäre es gerade ich, der hier irre war.

Nach Anforderung der Schulleitung kam ich auch zum Gespräch mit der Direktorin, Frau W. Auf klarem amtsdeutsch teilte sie mir mit, dass die Schule bezweifelt, ob ich meine Elternpflichten so wie es sich gehört erfülle. Wenn es so weiter ginge, meinte Frau W., würde die Schule erzwungen, das Jugendamt davon zu informieren.

Meine deutschen Bekannten haben mir dringend empfohlen, diese Androhung ernst zu nehmen. Es hieß, es wäre viel angenehmer, die Vokabelkarten auszufüllen, als vom Jugendamt geprüft zu werden. Die Englischlehrerin, Frau R., sah schon ihren baldigen Sieg voraus, und verlangte von M., das völlige Vokabular von dem fünften Schuljahr auf die Karten zu übertragen, etwa mehr als Tausend Wörter. Das war doch eine Arbeit für den ganzen Tag für die ganze Familie!

Für den nächsten Vokabeltest hat M. die Note fünf bekommen.
„Warum?“, fragte ich.
„Ich hab einfach die Schnauze voll von Frau R.“, antwortete er.

Zu dieser Zeit fand in der Schule irgendeine Sportveranstaltung statt. Fast alle Lehrer und Schüler waren draußen. Ich ging einfach vorbei und begegnete zufällig Frau R. Da rief sie mich freundlich an.

„Herr K., ich bin jetzt mit ihrem Sohn M. sehr zufrieden“, sagte sie mit einem strahlenden, frohen Lächeln. „Er hat mir alle Wörter vorzeigen können!“

Apropos Schwimmen

Eine Sportlehrerin eines Gymnasiums schreibt an alle Klassenlehrer/innen der Fünftklässler die Email mit der Bitte, die folgende Info an die Eltern der Schüler weiterzuleiten. Zitat:

„[…] leider müssen wir in Klasse 6 immer wieder feststellen, dass es Kinder gibt, die nicht schwimmen können. Dies ist einerseits für die Kinder sehr belastend, aber natürlich auch für den Sportunterricht in Klasse 6 ein großes Problem, da alle 6. Klassen ca. ein halbes Jahr schwimmen gehen. Aus diesem Grund möchte ich euch schon heute bitten, die Eltern eurer 5. Klassen darüber zu informieren, dass jedes Kind zu Beginn der sechsten Klasse schwimmen können sollte (Seepferdchen). Es bliebe ab jetzt noch ausreichend Zeit für die Eltern, mit ihren Kindern ins Schwimmbad zu gehen oder sie in einem Anfängerkurs anzumelden.“

Dazu noch ein bemerkenswertes Detail. Wann wird diese Email geschrieben? Natürlich, ganz am Ende des fünften Schuljahres. Also ist es mit der ausreichenden Zeit, die Kinder in einem Schwimmkurs anzumelden, ein bisschen übertrieben.